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Mark Kennedy: der Maulwurf von Tarnac

Übersetzung eines Artikels des französischen Kulturmagazin Les Inrockuptible - auf linksuntengepostet im März 2012

Während sieben Jahren und in ganz Europa hat sich der britische Polizist Mark Kennedy als Linksradikaler ausgegeben. In Frankreich hat er die DCRI [Leitstelle des Inlandsgeheimdienstes der französischen Regierung, d.Übers.] mit Informationen über die Beschuldigten von Tarnac gefüttert.

Erzählung einer Infiltration.

Sein großer blonder Körper mit Tattoos auf den Armen, sein Haarzopf und seine kleinen schielendenAugen haben ihn im Januar 2011 in britischen Zeitungen zur Nummer Eins gemacht. Mark Stone, militanter linker Internationalist. Aber Kleider machen keinen Rebell: Unter der falschen Identität von Stone verbirgt sich der Polizist Mark Kennedy.

Von2003– 2010haterdieradikaleLinkeinGroßbritannienundEuropainfiltriert (vgl.www.powerbase.info/index.php/Mark_Kennedy:_A_chronology_of_his_activities). Erhatundercovergelebt, unter Öko-AktivistInnen, GlobalisierungsgegnerInnen, AnarchistInnen und AntifaschistInnen; er hat ihrEssen,ihreFeste,ihreDemosgeteilt,manchmalihreBetten.Siehabenihnenttarnt und seinen Verrat beendet, aberzuspät.Alles,wassiegemachtundgesagthattenwährend7Jahren,warbereitsindenHändenderPolizei.

Stone hat auch in Frankreich operiert. Er scheint sogar eine wichtige Rolle in der Tarnac-Affaire gespielt zu haben.

InmehrereneuropäischenLändernhatseineRollealsVerdeckterErmittlerSkandaleprovoziert,(vgl. „Undercover police officer Mark Kennedy at centre of international row. Questions asked over officer in German and Irish parliaments as new allegations of sexual activity surface“ www.guardian.co.uk/environment/2011/jan/12/activism-protest). InFrankreichbleibenseineAktivitätenunklar, seine Rolle wurde verkannt.

Die Infiltration beginnt 2002. Mark Kennedy, seit 8 Jahren Polizist in London, tritt der „National Public Order Intelligence Unit“ bei, einer britischen Einrichtung, die die „einheimischen Extremisten“ überwacht (AnarchistInnen, Tierschutzbewegung).

Seine Mission beginnt 2003: Er soll sich in der radikalen Umweltschutzbewegung einnisten und dort das Vertrauen der AktivistInnen gewinnen. Er zieht Bermudas an, bindet seine Haare zusammen und begibt sich allein aufs Camp der Umweltschutzbewegung „Earth First“. Dort macht er sich Freunde und unterstützt ihre Sache, auch mit Geld. Er gibt an, sein Leben mit professionellem Klettern im Ausland zu verdienen.

Im Jahr 2009 wächst das Misstrauen bei den AktivistInnen

Mit den britischen UmweltschützerInnen debattiert, demonstriert, tanzt und trinkt er. Niemand zweifelt an seiner Militanz, er ist immer bereit, ein Transparent an einem Stromkraftwerk aufzuhängen oder seine GenossInnen mit seinem blauen Pickup an einen Aktionsort zu bringen.

Während 7 Jahren reist er. Nach einem Bericht der britischen Polizei (vgl. www.hmic.gov.uk/publication/review-of-national-police-units-which-provide-intelligence-on-criminality-associated-with-protest-20120202/) infiltriert und spioniert er in 11 Ländern: bei internationalen Treffen, Klima-Camps, in alternativen Dörfern, bei Gegengipfeln.

Im Jahr 2009 - trotz 6-jähriger perfekter Integration - beginnen ihm AktivistInnen zu misstrauen. Im April werden 27 AktivistInnen verhaftet wegen des Plans, in ein Kohlekraftwerk einzudringen. Mark ist der einzige, der nicht rechtlich belangt wird. Im Oktober 2010 findet seine Geliebte, eine Aktivistin, in seiner Tasche einen Pass auf den Namen Mark Kennedy. Sie vertraut sich ihren GenossInnen an. Zusammen recherchieren sie und finden Dokumente, die seine falsche Identität bestätigen – sie begreifen, dass ihr Genosse Polizist ist. Eines Morgens befragen ihn sechs Personen mehrere Stunden lang in einem Haus in Nottingham, bis er gesteht. Sie lassen ihn ziehen und unterrichten den „Guardian“, der daraufhin die Bespitzelung in der radikalen Linken durch die britische Polizei enthüllt.

Mit einem Bein in Tarnac

Welchen Schaden hat er hinterlassen? Während der ganzen Wirkenszeit von Mark Kennedy waren die europäischen Polizeien vernetzt. Sie haben über die Bewegungen der international aktiven AktivistInnen ein Maximum an Informationen ausgetauscht, haben bei Gegengipfeln unüberwindbare Sicherheitsvorrichtungen platziert; sie haben aus nächster Nähe diejenigen Bewegungen überwacht, die sie für potentiell destabilisierend oder terroristisch hielten. Kennedy als Teil dieses heimlichen Netzes hat AktivistInnen in Deutschland, Island, Italien, Spanien und Frankreich überwacht.

So hat er auch einen Fuß in die Tarnac Affaire bekommen. Wir erinnern uns an die Geschehnisse des Novembers 2008: Die französische Antiterroreinheit stürmt einen Bauernhof in Tarnac (in der Corrèze) und verhaftet dort und in anderen Dörfern 20 Personen. Sie werden eines staatsfeindlichen Komplotts verdächtigt, weil sie an den Schienen der französischen Bahnlinie SNCF Sabotage begangen haben sollen. Gegen 10PersonenwerdenErmittlungsverfahren eingeleitet wegen BildungeinerterroristischenVereinigung.

Im April 2008, als die Staatsanwaltschaft Vorermittlungen zur Gruppe von Tarnac eröffnet, gibt es nur sehr wenig Material. Dieses Material stammt aus Erkenntnissen des französischen Geheimdienstes über einige der AktivistInnen.IndiesenAktengibtesmehrereInformationen,dievonMarkKennedystammen,derauchfürdiefranzösischePolizeigearbeitethat. Der Spitzel hat mindestens drei Mal Leute aus Tarnac gekreuzt. Jedes Mal haben seine Beobachtungen eine Spur in den behördlichenAktengegen die mutmaßlichen „Verschwörer“ hinterlassen.

Wirbetrachtenesalsstarkwahrscheinlich,dassereinesehrwichtigeRollegespielt**hat,“ bestätigt Joseph Breham, einer der Rechtsanwälte der Beschuldigten.

Der erste Kontakt von Mark mit den Tarnac-Leuten fand im Februar 2007 in Warschau statt. An einem Freitag haben sich etwa 200 AktivistInnen aus ganz Europa in einer öffentlichen Halle getroffen, um über Aktionen gegen den G8 in Heiligendamm im folgenden Juni zu entscheiden.

Ein30jährigerfranzösischerAutonomerhatanderVersammlungteilgenommen.ErbeschreibtunsdieÖrtlichkeit:DaswareineArtSozialesZentrum.WirbefandenunsineinemSaal,wosonstoftKonzertestattfinden.NichtsGeheimes:AlleDiskussionsthemensindanWandbretternangeschlagenundaufIndymediaveröffentlicht.Daswarmehralsoffen,fügtunserZeugezu.KeinProjekt eines klandestinenschwarzenBlocks.InderMengederGlobalisierungsgegnerInnenwarenAktivistInnendesNetzes„Dissent“,von„DieLinke“undfünfPersonender„GruppevonTarnac“.

ÜberdieArtderGegenmaßnahmenzu G8gingendieStrategienauseinander.SeitSeattleundGenua *fandeinesystematischeDiskussionstatt:MussmansichderrotenZonenähern,denZutrittzumGipfelblockieren,andereSachenmachen?“*DieeuropäischenPolizeikräfte,dieandenGipfelprotestenzusammengezogenwaren,verschärfen jedesJahrihrSicherheitsdispositiv.Eswird fürdieAktivistInnenimmerschwieriger,an die Orte heranzukommen.DieswarderGrund,warumdiefünfFranzosenvonTarnaceinenPlanBvorschlugen:einÜberraschungs-CoupinHamburgoderBerlin,weitwegvomGipfel,dort,wodiePolizeikräftenichtsowieso schon stationiert seinwürden.InderHallehört ihnenMarkStonezu.Erwar mitdenbritischenUmweltschutzaktivistInnen angereist.

UnsereeinzigeVerbindungmitPolenwarjenesTreffen

EinJahrspäter,imJuni2008,übermittelt der französische Geheimdienst demInnenministerunter der Geheimhaltungsstufe „VS-Vertraulich“ einen Bericht mit
dem Titel:„*Du conflit
anti-CPE à la constitution d’un réseau préterroriste international
regards sur l’ultragauche française et européenne**“Vom Protest gegen den CPE1hin zur Bildungeinesvor-terroristischeninternationalenNetzwerkes.Ein *Blickaufdiefranzösischeundeuropäischeextreme*Linke*“[publiziert im März 2012 vom investigativen Internetmagazin Mediapart, d.Übers.]

In diesem Bericht werden drei Personen von Tarnac schwarz auf weiß zitiert, TeilnehmerInnen des Warschauer Treffens gewesen zu sein. Das Dokument bezeichnet sie als „erster**Kreis“ einer „informellenlinksradikalenautonomenGruppe, die militante Aktionen in Europa vorbereitet.

ZurgleichenZeitverlangtdiefranzösischePolizeidieEröffnungeinerVorermittlung gegen die Tarnac-Gruppe. InihrerAnfrageandenStaatsanwaltzeigtsichdiePolizeibeunruhigtüber„internationale**Treffen der anarcho-autonomen**Bewegung“ undzitiertalserstesBeispieldasjenigevonPolen.

Für die Beschuldigten von Tarnac ist sicher:MarkStonehatihreTeilnahmeinWarschauderfranzösischenPolizeiweitergegeben.Einervon ihnen erklärtuns:“Der Beginn der polizeilichenVerfolgunggründetaufden uns unterstellten VerbindungenmitdemAusland.Unsere *einzigeVerbindungzuPolenistjenesTreffen,woauchStoneteilgenommenhat.AndereInformantenhättenunsereTeilnahmeinPolenebenfallsweitergebenkönnen,abereshatsichdauerndwiederholt:JedesMal,wennStoneunsereWegeirgendwogekreuzthat,sindVermerkeüberunsindenPolizeiakten*gelandet.“ErerinnertsichandeninfiltriertenPolizisten:„WennduseineFressegesehenhast,dannerinnerstdudich.ErhatteeinAuge,dasirgendwohinguckte,erwareinwenigälteralsdiemeistenTeilnehmendenundersprachEnglischmittenunterdeutschenundpolnischenLeuten.

Von dem Moment an, wo er entscheidet unter uns zu leben, ist das unentdeckbar!“

Joel*,französischerAktivistvonDissent!,aktivinderOrganisationdesGegengipfels,nahmamTreffeninWarschaustatt.ErhatteStonebemerkt,weilerihmschonwährendderVorbereitungenzumGegengipfelinGleneagles2005begegnetwar.„FürmichwarMarkeinerderLeute,dieDissent!InGroßbritanniengegründethatten.IchbinihminLondonbegegnetineinembesetztenHaus,dasermitFreunden**aufgemacht hatte.Ichhabemitihmnichtwirklichgesprochen.Erwarkeinervondenen,zudemmanleichtZuganghatte:Erwarsehrbritisch,einwenig**zurückgezogen.“

AlsderSpitzelvierJahrespäter2010enttarntwordenist,kann Joel es nicht fassen. „Mansagt,dassmandieLeutegutkennensollte,umeinEinsickernzuvermeiden.AberindemMoment,woeinerentscheidet,sozulebenwiewir,unterunszuseinüber**Jahre,istdas nicht entdeckbar.Niemandhatte**auch nur den geringsten Zweifelanseiner**Person.“

Unentdeckbar, unentdeckt baut Mark Stone sein Nest in den kleinen Zirkeln dieser so vorsichtigen AktivistInnen. Ein Jahr nach Warschau, im Januar 2008, ist man sich wieder begegnet, in New York. Begleitet von einem amerikanischen anarchistischen Freund, der in Großbritannien lebt, hält er sich im Büro einer New Yorker Aktivistin in Manhatten auf. Ein anderer Amerikaner, ein in den USA wohnhafter Japaner und zwei Franzosen gesellen sich zu ihnen: Julien Coupat und seine Partnerin Yldyne Levy, die ihre Ferien in New York verbrachten. Sie kannten nur den amerikanischen Freund von Mark. Dieser lud sie ein, seine Genossen zu treffen.

DassindKumpelsvonKumpelsausverschiedenenLändern,mitgemeinsamenInteressen,diesichamselbenOrttreffenundeinigeStundendiskutieren*“*,erklärteinnaherFreundvonJulienCoupat.„Allemachendas“.WelcheErinnerungenhattendieTeilnehmendendiesesTreffensanMarkStone?„Erwarimmerunauffällig,mitseinenTatoosundPiercingswarerwieeinFischim**Wasser“.

WiederZeugeberichtet,hattederSpitzelerklärt,erwärenachNewYorkgekommen,„umseinenBruderzusehen“.WährenddesTreffensmachtJulienCoupateinigeVermerkeinseinTagebuch.AndiesemTagkritzelterdenVornamen„Mark“.

EinigeTagedanachkehrenJulienundYldunenachFrankreichzurück.DafürüberquerensieillegaldiegrüneUS-kanadischeGrenze,mitten in der Natur, weitwegvon jeden Grenzbeamten.Warum?UmindieVereinigtenStaatenzugelangen,hättensieeinenbiometrischenPassbesitzenunddortihrenelektronischen Fingerabdruckhinterlassenmüssen.Weilsiediesabgelehnthaben,habensiedieGrenzedurchdenoffenenWaldnach Kanadaüberquert, wo keine Fingerabdrücke verlangt werden.BeiderHinreisegabeskeineProbleme.BeiderRückkehrwurdensievonamerikanischenGenossenimAutoganz nah andieGrenzegefahren,die sie dannzuFußqueren sollten, um auf der kanadischenSeitewieder ins Auto aufgenommen zuwerden.Abernoch bevor sie sich wieder treffen konnten, kontrolliertediekanadischePolizeidasAuto.SieentdecktedenRucksackvonJulien,seinenFührerschein,seinNotizheft undFotosvomTimesSquare.Alssiebegriffen,dassderFranzosedieGrenzeillegalüberquert habenmusste,beschlagnahmtediePolizeiseineSachen,umsieihmdanachwiederzurückzugeben.

WerkonntedenAufenthaltderfranzösischenLeuteinManhattan****dem Nachrichtendienst weitergeben?

VierMonatespäterinFrankreichbeantragtdieAntiterror-Abteilung der Kriminalpolizei SDAT beim Staatsanwalt eineVorermittlung gegen die Tarnac-Gruppe,derenMitgliederbishernochnieverhaftetwordenwaren.DieAntiterror-KräftebegründenihrVorgehenmitdem Konstrukteiner„klandestinenanarcho-autonomenStruktur,diekonspirativeBeziehungenmitAktivenderselbenIdeologiepflegt,dieimAuslandangesiedelt sind“.

Umdieszubeweisen,zitiertdiePolizeidieAmerika-ReisevonJulienCoupatundYlduneLevy,ihreheimlicheGrenzüberquerungundihreTeilnahmeaneinem„TreffenmitamerikanischenAnarchisteninNewYork.“SiebeschwörensogareinenBrandsatzgegeneinRekrutierungszentrumderamerikanischenArmeeamTimesSquareherauf,fürdendieSuchenachSchuldigenbishererfolglosgebliebenwar.DieamerikanischePolizeihatabervoneinerBeteiligungandiesemAngriffdurchdieFranzosenAbstandgenommen,dadiebeidendieUSAjabereitsverlassenhatten.

InihremBriefandenStaatsanwaltbekräftigtdiePolizei,dassihrdieseInformationendurchdie Nachrichtendienste zugetragenwordensind.WieaberkonntedemGeheimdienst derAufenthaltderzweiFranzosenaneinemkleinenanarchistischenTreffeninManhattenverratenwerden. Die Beschuldigten bestätigen, dasssichihrVerdachtaufMarkrichtet.Einerderzweipräzisiert:„DieandiesemTaganwesendenAmerikanerwurdendanachdurchdiePolizei*belästigt:Deshalb *könnensie nichtdiejenigensein,diediefranzösischePolizeiinformierthaben.EsbleibenderJapanerundMarkStone.Nach allem,wasmanbisheuteüberihnweiß,dannfolgereichdaraus,dassdieInformationvonStonekommt.**“

1 CPE “Contrat Première Embauche = Erstanstellungsvertrag; Gesetzesinitiative, nach der ArbeitnehmerInnen bis 26 die ersten zwei Jahre ohne Kündigungsschutz arbeiten sollen. Dieser Vorschlag löste 2006 massive Proteste in Frankreich aus.


„Militante“ wurde hier mit „AktivistInnen“ übersetzt, weil dies im französichen nicht gleich wie im Deutschen gebraucht bzw. unterschieden wird [d. Übers.]